Der
Iran im Umbruch 
von
heute.t-online.de
Im Iran gärt
es: Nach Ende des Krieges gegen den Irak ist das Land verstärkt
ins Visier der Weltpolitik gerückt. Außenpolitisch
unter erhöhtem Druck der USA sieht sich Teheran täglich
mit neuen Unruhen im eigenen Land konfrontiert. Reformer und
Konservative ringen um Veränderungen. Ob es wirklich tief
greifende Reformen oder sogar einen Umsturz des Systems geben
wird, ist bisher jedoch ungewiss.
"Bisher",
sagt Johannes Reissner, Iran-Experte der Stiftung Wissenschaft
und Politik Berlin (SWP), "trägt die breite Bevölkerung
die Studenten-Proteste nicht mit". Das sei angesichts der
ökonomisch-politischen Lage verständlich. "Viele
Iraner", so Reissner weiter, "sehen momentan keine
Alternativen und keine Hoffnungsträger. Und Menschen protestieren
nun mal nicht, wenn sie keine Hoffnung haben. Bisher ist niemand
in Sicht, der es besser machen könnte."
Aufbegehren
gegen die Mullahs
Dabei ist vieles im Land verbesserungsbedürftig: Millionen
von Iranern sind heute unterbeschäftigt und unterbezahlt.
Sie sind nicht gegen die Werteordnung des Islam, aber sie möchten
besser leben. Abermillionen verbringen 16 Arbeitsstunden täglich
mit zwei oder drei Jobs und halten selbst damit ihre Familien
nur mühselig über der Elendsgrenze.
Auch für die Mehrheit der Universitätsabsolventen
gibt es keine Stellen. Kein Wunder also, dass besonders junge
Menschen in dem Land mit einer inoffiziellen Arbeitslosenquote
von mehr als 30 Prozent gegen das Regime der Mullahs aufbegehren.
Beginn einer neuen Ära
Als der reformorientierte Mohammed Chatami 1997 mit rund 70
Prozent der Stimmen zum Staatspräsidenten gewählt
wird, glauben vor allem viele junge Iraner an den Beginn einer
neuen Ära von größeren Freiheiten. Doch das
letzte Wort im Staat hat, als höchste Instanz, Chatamis
religiöser Gegenspieler, der Oberste Führer Ajatollah
Ali Chamenei. Und der greift immer wieder hart durch.
Als Nachfolger von Revolutionsführer Ajatollah Khomeini
ist er seit 14 Jahren der mächtigste Mann in der Islamischen
Republik und gilt eigentlich als unangreifbar, steht er doch
als geistliches Oberhaupt und höchste Instanz bei politischen
Entscheidungen laut Verfassung sogar über dem Gesetz.
Dem Erbe verpflichtet
Chamenei, dem allerdings das Charisma seines Idols Khomeini
völlig fehlt, fühlt sich dessen Erbe als Revolutionsführer
verpflichtet und tritt als Sprachrohr der treuen "Revolutionskräfte"
auf, die im Krieg gegen den Irak (1980-88) viele Menschenleben
geopfert hatten. Dafür erlangt er bei den Verfechtern eines
strikt nach den Grundsätzen des schiitischen Islam geführten
Staates Ansehen und Autorität. Wiederholt greift er gegen
zu radikale Reformer ein, mischt sich immer mehr zugunsten der
konservativen Kräfte in die Tagespolitik ein.
Am 9. Juli 1999 lässt er Sicherheitskräfte eine pro-demokratische
Studentenrevolte nach sechs tägiger Dauer niederschlagen
und über tausend Hochschüler festnehmen. Wiederholt
werden reformorientierte Zeitungen geschlossen und Dissidenten
verhaftet. Damit sorgt Chamenei zwar kurzfristig für Ruhe,
die Kritik aber kann er nicht mundtot machen.
Gottesstaat
oder nicht?
"Tod für Chamenei" lautet denn auch eine der
Parolen bei den immer wieder aufkochenden Protesten in Teheran.
Sie richten sich gegen die Macht der ultra-konservativen Mullahs,
die den Iran ihrer Meinung nach in der erstickenden Gesetzgebung
ihres "Gottesstaates" gefangen halten. Ein Begriff,
den Iran-Kenner Reissner für "irreführend"
hält.
Offiziell trage der Iran den Staatsnamen "Islamische Republik",
worin sich die "ganze Widersprüchlichkeit des Systems"
schon andeute. "Der Iran", so Reissner, "ist
ein Land mit religiös-autokratischen und demokratischen
Strukturen und Institutionen. Beide sind voneinander abhängig."
Spannenderweise seien ja seit Khomeini regelmäßig
Wahlen durchgeführt worden, ob Parlaments-, Präsidentschafts-
oder Kommunalwahlen. Und mit der Wahl von Chatami konnte 1997
ja sogar ein Regierungswechsel erreicht werden.
Kampf mit
den Konservativen
Seit einigen Jahren ist die Innenpolitik durch den Kampf zwischen
Konservativen und Reformern geprägt, zwischen denjenigen,
die in einer islamischen Ordnung und Abschottung gegen den Westen
die oberste Priorität sehen und denen, die für politische
Öffnung und wirtschaftliche Entwicklung eintreten. Wie
es nun weitergehen wird, weiß niemand so recht.
"Ein Herrschaftswechsel", glaubt Reissner, "ist
in naher Zukunft dennoch sicher nicht zu erwarten. Schließich
weiß man ja nicht, wohin er führen würde - und
ob dann alles besser wird."
Wichtig für
Europas Energie
Für den Westen ist der Iran aber nicht nur wegen der reichen
Rohstoffvorkommen bedeutsam. Vor allem als Land mit den zweitgrößten
Erdgasreserven der Welt ist es für Europas Energiesicherung
wichtig. Nach dem Zerfall des Sowjetreichs hat der Iran zudem
als Transitland zwischen Zentralasien und dem Persischen Golf
an Bedeutung gewonnen. Und nicht erst seit den Kriegen in Afghanistan
und im Irak spielt er für die regionale Stabilitätspolitik
eine wichtige Rolle. "Die ganze Region ist Europa näher
gerückt", sagt Reissner.
Leider fehle es den USA bisher an einer konsequenten Strategie
im Umgang mit Teheran. Slogans wie "Schurkenstaat",
"Böser Staat" und "Achse des Bösen"
könnten ein differenziertes Konzept der USA nicht ersetzen.
"Das, was
da zur Zeit passiert, ist keine Iranpolitik, sondern Stimmungsmache
und Drohkulisse", so Reissner. "Die einen stellen
ein 'Iran Liberation Program' auf die Beine, die anderen unterstützen
den Sohn des gestürzten Schah." Ganz andere wiederum
sympathisierten mit den "Volksmudschahedin", die offiziell
in den USA als terroristische Vereinigung gelten, was einer
gewissen Ironie nicht entbehre. "Da fehlt", resümiert
Reissner, "doch insgesamt die große Richtung".
von
Elisabeth Jändl, ZDF, mit Material von dpa, AFP, 09.07.2003
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