Der Wilde Westen liegt im Mittelmeer. Er ist karg, steinig und heiß. Ideal, sagen die Menschen vom Film und belagern die Insel seit Jahren mit ihren Kameras
Ein unscheinbarer Ort für einen großen Abgang. The Pub an der Archbishop Street in Maltas Hauptstadt Valletta. Er hat auf seinem Stammplatz gesessen, auf der schmalen, dünn bepolsterten Bank an der Wand gleich links vom Eingang. Acht Gläser Lager, zwölf doppelte Rum, eine halbe Flasche Whiskey - keine große Sache für einen trinkfesten Kerl wie Ollie. Irgendwann an diesem Abend sackte er in sich zusammen. Sie haben ihn noch mit der Ambulanz ins Krankenhaus geschafft. Zu spät: Der britische Schauspieler Oliver Reed starb am Abend des 2. Mai 1999 im Alter von 62 Jahren an Herzversagen.
Der Pub, der The Pub heißt und in dem kaum mehr als 40 Leute Platz finden, ist zu einer Gedenkstätte geworden. Eine vertrocknete Rose, in Cellophan gewickelt, liegt auf der Rückenlehne jener Bank, auf der Reed zusammenbrach. An der Wand hängen Porträts und Schnappschüsse mit Trinkkumpanen, Zeitungsausschnitte, eine Fahne und ein T-Shirt mit Abschiedssprüchen für den berühmten Toten.
Es sind vor allem Briten, die kommen. Sie trinken, sehen sich um, fast ehrfurchtsvoll, und reden über Ollie, der berühmter war für Saufgelage, Frauengeschichten und Prügeleien als für seine Schauspielerei. Während der Dreharbeiten zum Film Gladiator (2000) hat Reed fast jede freie Minute im Pub verbracht. Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps - danach lebte er. In der Kneipe sterben, »ich glaube«, sagt seine Kollegin Dame Judi Dench, »so hat er sich das immer gewünscht.«
Oliver Reed ist nicht der einzige Star, den es nach Malta und deren Schwesterinseln Gozo und Comino verschlug. Doch erst kamen vor mehr als 7000 Jahren Einwanderer aus Sizilien, gefolgt von Karthagern und Römern, Vandalen und Goten. Später Araber, Normannen, Staufer, Franzosen, Spanier, natürlich die Kreuzritter, schließlich die Briten. Bis in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts plötzlich dieses seltsame Filmvolk auftauchte.
Der erste Vortrupp wurde 1930/31 gesichtet: Ein britisches Produktionsteam drehte Teile des Kriegsfilms Tell England auf den Inseln. Weitere folgten. 1964 gründete der britische Spezialeffekte-Experte Jim Hole unweit von Valletta die Malta Film Facilities, die heute Mediterranean Film Studios (MFS) heißen. Hole hatte die Vorteile des Atolls erkannt. Die Hauptinsel Malta, kaum größer als München, dicht bebaut mit gut erhaltenen Festungsanlagen und Häusern, gehauen und gefräst aus dem ockergelben Kalkstein des Archipels. Zum großen Teil entstanden zur Zeit der Kreuzritter, die auf dem Vorposten Malta zwei Jahrhunderte lang das christliche Abendland gegen einfallende Muslime verteidigten. Dazu die vorgeschichtlichen Tempelanlagen, die harschen Klippen, die Grotten, die versteckten Buchten und das glasklare Wasser. Außerhalb der Städte, die auf Malta ohne Begrenzungen ineinander fließen, das karge Land, wo sich zwischen Geröll ein paar Kakteen und Büsche durch den Kalkstein kämpfen - Wilder Westen im Mittelmeer. Alles in kürzester Zeit zu erreichen und Schönwettergarantie mindestens von Mai bis Oktober. Das ganze Jahr weht ein heißer Wind von der nur 290 Kilometer entfernten afrikanischen Küste auf die Inselgruppe hinüber.
Beim Ballern lassen sich die Einheimischen nicht stören
Noch attraktiver für Filmproduktionen wurde Malta Ende der Sechziger mit dem Bau eines riesigen, 122 mal 92 Meter messenden Wassertanks, direkt an der Küste nicht weit weg von Vallettas großem Hafen, dem Grand Harbour. Der Rand des flachen Überlaufbeckens verschmilzt mit dem Meereshorizont - perfekte Illusion. Für die Romanverfilmung von Clive Cusslers Raise the Titanic mit Alec Guinness und Jason Robards wurde 1979 gleich nebenan ein Tiefwassertank ausgehoben, Fassungsvermögen 43,2 Millionen Liter.
Am Flachwasserbecken ducken sich ein paar graue Buden für Werkstätten und Garderoben. Eine Galeere dümpelt an diesem heißen Septembermorgen vor einer haushohen Bluebox im Tank. An Bord warten Männer in Antikkostümen auf das Action-Zeichen des Regisseurs von Helen of Troy, einer TV-Produktion.Der sitzt mit Crew und Kamera direkt am Wasser auf dem Trockenen. Die riesigen Ventilatoren am Beckenrand, die Wellen- und die Nebelmaschinen werden später zum Einsatz kommen.
»Wir lassen richtige Orkane losbrechen«, sagt Cornelia Schellmann. Eine blonde Münchnerin, die seit 1987 auf Malta lebt und seit drei Jahren bei MFS als General Coordinator arbeitet. Gérard Depardieu kämpfte im Tank als Der Graf von Monte Christo (1999) gegen den inszenierten Wind; Jeff Bridges erlebte bei den Dreharbeiten zum Hochseeabenteuer White Squall gleich mehrere Stürme im Wasserbecken.
Die Internet-Filmdatenbank imdb spuckt auf Anfrage 71 Titel aus, die ganz oder zum Teil auf Malta gedreht wurden. Meistens fielen sie ins Wasser. Jürgen Prochnow ging in Der Skipper (1990) mit Elisabeth Hurley im Becken baden, und vor drei Jahren tauchte die U-571 für das gleichnamige U-Boot-Action-Spektakel in den MFS-Tanks ab. Beides internationale Produktionen, ein genuines maltesisches Kino ist so gut wie nicht existent. Malta bietet Manpower und Technik: Komparsen, Konstrukteure, Bühnenbildner, Schneider. »Die kennen ihr Fach seit mehr als 25 Jahren«, sagt Cornelia Schellmann, »und sie haben ein sehr gutes Renommee in der Branche.« Zuträglich ist das entspannte Verhältnis zu den Hafenbehörden. Wenn Julius Cäsar laut Drehbuch mit einem antiken Schiff nach Ägypten segelt, darf kein moderner Dampfer ins Bild schippern. »Wir rufen an, und meistens ist es möglich, den Schiffsverkehr für die Dauer der Aufnahme zu unterbrechen.«
Weniger kooperativ sind die Ballermänner. Den ganzen Sommer über befördern sie fast jedes Wochenende Feuerwerkskörper in den Himmel über Malta. Ab Mittag. Ballern gehört zu den traditionellen Festas, Prozessionen, mit denen diverser Schutzheiliger gedacht wird. Das Lärmen wegen ein paar Film-Hanseln unterbrechen? Nie!
Filmstudios in anderen Ländern verdienen zusätzliches Geld mit Touristentouren. Doch abgesehen von den Tanks gibt es nicht viel zu sehen auf dem Gelände der MFS. Wenn gedreht wird, darf sowieso niemand rein. Zwischen rostigen U-Boot-Teilen und ausgedienten Schiffsmodellen stöbern zwei magere Hunde und an einem Holzpflock knattert ein Pappschild mit der Aufschrift Julius Caesar Office. Das Büro der amerikanisch-europäischen TV-Koproduktion mit ARD-Beteiligung ist geschlossen, die Darsteller Christopher Walken, Richard Harris, Tobias Moretti und Heino Ferch sind vor Wochen abgereist, die Kulissen stehen nicht mehr. Bis vor zwei Jahren gab es neben den Studios den Rinella Movie Park, ein kleines Filmdorf mit Puppentheater. Weil kaum einer kam, machte der Park zu.
Besser geht es Sweethaven, das im Norden Maltas an den gelben Felsen über der Anchor Bay klebt, einer schmalen Bucht, die sich in den Kalkstein der Steilküste gefressen hat. Zwanzig windschiefe Holzhäuschen ließ der amerikanische Regisseur Robert Altman 1979 bauen - Kulisse für seine Realversion der Popeye-Comics. Das Popeye Village zieht ein paar Touristen an, auch hier dominieren die Briten. Mehrmals am Tag gibt es kurze Shows mit den Charakteren des Films. Im Kino kann man die Entstehung von Sweethaven anschauen. Der Ton scheppert, die Bilder sind verwaschen. Das Dorf wirkt hinfällig. Bodenbretter knarren, das Holz der Häuser ist von der Salzluft ausgebleicht. Schräg oberhalb des eigentlichen Kulissendorfes drehen sich wackelnd ein paar Kinderkarussells. Jemand sollte Staub wischen.
Die kleine Blondine stieg ins Wasser. Sie hieß Madonna
Herbert, der Betreiber des kleinen Vergnügungsparks, ist ein großer, braun gebrannter Kerl mit prallen Popeye-Oberarmen. »Sie können das ganze Dorf für Veranstaltungen mieten«, sagt er, und es klingt wie eine Drohung. »Essen und so weiter stellen wir zur Verfügung.« Gefilmt wird auch hin und wieder, Werbespots vor allem.
Jenseits von Sweethaven und den Mediterranean Film Studios bleiben die Spuren der Filmcrews und Kinostars undeutlich. Im Xara Palace zum Beispiel: In einem der 17 Zimmer und Suiten soll 007 Pierce Brosnan übernachtet haben - bloß in welchem? Das Luxushotel liegt am Rand von Mdina, bis zur Ankunft der Kreuzritter im Jahr 1530 Inselhauptstadt. Eher Städtchen als Stadt, umgeben von Wehrmauern und nur über eine von drei Brücken zu betreten. Teile des TV-Mehrteilers Der Graf von Monte Christo entstanden zwischen den arabisch-mittelalterlichen und barocken Bauten.
Monte Cristo (2002), die jüngste Verfilmung des Alexandre-Dumas-Romans, wurde unter anderem in Vittoriosa gedreht, das als Hafenviertel von Marseille diente. Wie eine steinerne Zunge schiebt sich Vittoriosa mit dem Fort St. Angelo auf der Spitze in den Grand Harbour. Kurz vor Sonnenuntergang in einem der schmalen Wassertaxis, den dghajsas, durch den Naturhafen schaukeln - das ist Kino in Cinemascope. Der Abend taucht die Festungen, die den Grand Harbour von allen Seiten einkreisen, in mildes Vanillelicht. Und still ist es auf dem Wasser. Keine Autos, keine knatternden Boote und für eine Weile keine Böller.
Durch die Gassen von Vittoriosa und Valletta eilte im vergangenen Herbst eine sehr kleine, sehr drahtige Blondine: Madonna, verfolgt von Kameras und Ehemann Guy Ritchie. Für den gemeinsamen Film Swept Away, eine moderne Der Widerspenstigen Zähmung-Variation, stieg Madonna auch ins Wasser. Natürlich in der schönsten Bucht des Archipels, der Blue Lagoon auf Comino. Knapp drei Quadratkilometer klein ist der Felshaufen zwischen Malta und Gozo, auf dem hoch über der türkisblau glitzernden Lagune ein gewaltiger Wachturm protzt.
Auch Gozo, karstige 14 Kilometer lang, sieben Kilometer breit und im Gegensatz zu Malta kaum bebaut, blieb vom Film nicht unberührt. Der Legende nach hielt die Nymphe Calypso sieben Jahre lang Odysseus auf der Insel fest. Was lag näher, als die US-TV-Miniserie The Odyssey auf Gozo zu drehen. Hauptdarsteller Armand Assante wurde unter anderem vor dem Azure Window an der Dweja Bay im Westen der Insel platziert. Das »azurne Fenster«, ein mächtiger Kalksteinbogen, ragt wie ein Titanen-Tor weit aus den Felsenklippen in die halbrunde Bucht hinein.
Welche Stars wann und wo auf Gozo gedreht haben, Joe Rafalo weiß es. Gozo-Joe nennen ihn die Filmleute. 62 Jahre alt, das Gesicht in Falten gelegt, kutschiert Rafalo seit 40 Jahren Schauspieler in seinen Mercedes-Limousinen über die Insel. Eigentlich sei er im Ruhestand, sagt Joe. Aber wenn einer wie Sean Connery nach Gozo kommt, klar, dann setzt er sich hinters Steuer. »Wir erzählen Geschichten beim Fahren«, sagt Joe stolz, »und wir nehmen uns gegenseitig auf den Arm.« Connery hat er chauffiert, als der Anfang der Achtziger das James-Bond-Abenteuer Sag niemals nie auf Gozo filmte.
Bewegt sich Sean Connery zu Fuß auf Malta, dann meist in Begleitung von Bodyguards. Russell Crowe wollte vor drei Jahren während der Gladiator-Dreharbeiten von Personenschutz noch nichts wissen. Das war vor dem Oscar und vor der viel betratschten Affäre mit Meg Ryan. Crowe schmiss Partys für sein Filmteam, organisierte Segeltörns und ein Cricket-Turnier gegen den Marsa Sports & Country Club. Der Platz, auf dem der Gladiator ehrenvoll mit seiner Mannschaft verlor, liegt rund vier Kilometer südlich von Valletta. Belegt ist auch ein Essen der Crowe-Crew im Restaurant Barracuda in St. Julian's mit Blick auf die Balluta Bay. Doch ein Foto, das an den Besuch der Filmleute erinnert, wird man vergeblich suchen. Auf Malta bleibt die Ehre einer Gedenkstätte wie The Pub Toten vorbehalten. Das widerfuhr bislang nur Oliver Reed: auf Malta drehen und sterben.
Information
Anreise: Air Malta fliegt im Sommer täglich außer Dienstag zum Beispiel ab Frankfurt nach Malta. Flugtickets gibt es zurzeit ab 269 Euro, zusätzlich Steuern. Im Winter ist der Flugplan eingeschränkt. Weitere Informationen unter www.airmalta.de oder Tel. 069/92 03 50. Auch Lufthansa und verschiedene Chartergesellschaften fliegen die Inselgruppe an
Unterkunft: The Xara Palace, Mdina RBT 12, Mdina, Tel. 00356/21 45 05 60, www.xarapalace.com.mt. Das Hotel bietet derzeit Kompaktangebote, zum Beispiel vier Nächte in einer Suite inklusive Frühstück, ein Dinner für zwei und Transfer vom und zum Flughafen für 360 LM (rund 825 Euro)
Wo Ollie starb und Russell ass: The Pub, 136 Archbishop Street, Valletta, Tel. 00356/21 23 75 25, Restaurant Barracuda, 194 Main Street, St. Juliens, Tel. 00356/21 33 18 17
Schauplätze: Sweethaven, The Popeye Village Film Set, Anchor Bay, Mellieha, www.popeyemalta.com. Mediterranean Film Studios, St. Rocco Street, Kalkara, ww.mfsstudios.com
von Anke Kapels, aus ZEIT.de