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Kunst der Kurve
- 100 Jahre Schweizer Postauto


Das gelbe Postauto gehört zur Schweiz wie der Käse oder die Schokolade. Seit über hundert Jahren transportieren die Busse ihre Passagiere die endlosen Haarnadelkurven der Alpenpässe bergauf und bergab - ihre Fahrer müssen eine Leidenschaft für das Kurvenfahren mitbringen.

Bern - Routiniert lenkt Armin Volken seinen Bus über den 1815 Meter hohen Schweizer Malojapass auf der Fahrt von St. Moritz zum Comer See. Die Passüberquerung ist einer der Höhepunkte der Postauto-Route Palm-Express nach Italien. Auf einem Kilometer muss der Walliser das Zwölf-Meter-Gefährt sicher durch 15 Haarnadelkurven manövrieren. Seit nunmehr 100 Jahren fährt die gelbe Postauto-Flotte auch den letzten Winkel der Alpenrepublik an und meistert dabei die schwierigsten Pässe. Inzwischen sichern neben dem Linienverkehr immer mehr touristische Angebote die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens.

Was am 1. Juni 1906 mit dem ersten Automobil-Postkurs von Bern nach Detligen begann, entwickelte sich innerhalb eines Jahrhunderts zum bedeutenden Anbieter im regionalen öffentlichen Verkehr. Die Geschichte des Postautodienstes begann genau genommen bereits 1849 - auch wenn es damals noch Pferde und Kutschen waren. Die Pferdepost, die bis zur Eröffnung der ersten Eisenbahnlinien alleiniges Transportmittel von Reisenden, Gepäck und Postsachen war, wurde von 1906 an nach und nach von einem fahrplanmäßigen Autobetrieb abgelöst.

Nach dem Ersten Weltkrieg setzte die Schweizerische Post mehr als hundert Armeelastwagen ein. Die einen wurden zu Überland-Omnibussen umgebaut, die anderen läuteten mit ihrem offenen Verdeck die Ära der berühmten Alpenwagen ein. Sie eroberten 1919 zuerst den Simplonpass, ein Jahr später die Alpenpässe San Bernardino und Julier, darauf Grimsel, Furka und Gotthard. Weitere Alpen- und Juraüberquerungen kamen im Laufe der Zeit hinzu.

ALPENPOST

Fahrpläne, Routen, Preise
gibt es bei www.postauto.ch

Die besten Strecken gehen aus einem Alpental, über hohe Berge zu Palmen und Seen im Tessin oder in Italien. ("Palm-Express")

SOUVENIRS

100 Jahre Postbus
Zum Jubiläum verkauft die Post edle Uhren mit Postauto Motiven, kleine Modellbusse und den lesenswerten Bildband "Gelbfahren" (69.-sFr.). Postauto-Shop

Fünfmal am Tag um die Welt

Von 1946 an begann mit den Drei-Pässe-Ausflugsfahrten in den Zentralalpen die große Zeit der touristisch genutzten Alpenpost. Mit aufwendigen Plakaten geschickt vermarktet, trug sie wesentlich dazu bei, den bis heute gültigen Mythos Schweiz als heiles Land von atemberaubenden Bergen und Gletschern in die Welt hinauszutragen. Die Sonderausstellung "Reisegelb - 100 Jahre Postauto in der Schweiz" im Museum für Kommunikation in Bern (noch bis 3. September) will dem Mythos Alpenpost den Alltag der traditionsreichen gelben Fahrzeuge gegenüberstellen.

"Ein Bus sollte dir in die Arme passen wie deine eigene Frau", sagt Busfahrer Volken. In einer Kurve muss jeder Zentimeter der Straße bedacht und genutzt werden. Alpenpässe mit einem Fahrkünstler wie Volken zu überwinden könnte für einen Flachländer zur Leidenschaft werden. Den Abgrund im Blick, kann er sich dennoch völlig entspannt in seinen Sitz zurücklehnen und das beeindruckende Panorama genießen. "Hauptgrund, in der Schweiz Busfahrer zu werden, sollte immer das Kurvenfahren sein", meint der Walliser und schraubt sich mit seinem 380 PS starken Reisebus souverän die Serpentinen hinunter. Mit Handzeichen begrüßt er freundlich einen Kollegen in einem entgegenkommenden Linienbus.

Die modernen Omnibusse des Postautodienstes sind heute von den Straßen und Alpenpässen der Schweiz nicht mehr wegzudenken. Sie verbinden selbst das letzte Bergdorf mit der Außenwelt. "Mit insgesamt 10.363 Kilometern wird ein rund dreimal so großes Streckennetz wie das der Schweizerischen Bundesbahnen erschlossen", erklärt Ayu Slamet, Marktmanagerin bei Postauto Tourismus. Über 2600 Fahrer - davon 84 Frauen - legen jährlich rund 91 Millionen Kilometer zurück. "Dies würde reichen, die Weltkugel fünfmal pro Tag zu umfahren."

Spitzenreiter ist die Drei-Pässe-Fahrt

Etwa 2000 Fahrzeuge, darunter Doppelstock- und Gelenkbusse sowie einige Hightech-Reisebusse, befördern pro Jahr mehr als 102 Millionen Fahrgäste. Drei Viertel davon benutzen den Bus für die tägliche Fahrt zur Schule, zur Arbeit oder für Besorgungen, ein Viertel für die Freizeit. "Trotzdem sind die spektakulären Bergfahrten das Aushängeschild der gelben Flotte geblieben", sagt Slamet.

Seit der Einführung des Eisenbahngesetzes von 1996 steht das Unternehmen der Schweizer Post im freien Wettbewerb mit der Schweizer Bahn SBB und anderen Transportunternehmen. Da im öffentlichen Verkehr nach Angaben von Daniel Landolf, Leiter von Postauto Schweiz in Bern, kaum mehr Gewinne erzielt werden, soll das Geschäftsfeld Freizeit und Tourismus weiter entwickelt werden. Dafür wurde 1998 das Tochterunternehmen Postauto Tourismus gegründet.

Im Angebot sind bereits sieben sogenannte Route Express Lines und mehr als 50 regionale Tagesfahrten, die weltweit reserviert werden können. So bringt der Palm-Express zwischen St. Moritz und Lugano die Reisenden in vier Stunden von den Gletschern hinunter zu den Palmen. Der neue San Bernardino Route-Express verbindet sechsmal täglich in zwei Stunden Chur mit Bellinzona. Spitzenreiter unter den Tagesfahrten ist der Klassiker der Pionierzeit, die Drei-Pässe-Fahrt in den Zentralalpen. Neben den Linienfahrten bietet das Programm mehrtägige Paket-Reisen für Individualreisende und Gruppen.

So unverwechselbar wie die gelbe Farbe ist über die Jahre auch das "Tü-ta-too" des Postautos geblieben. Was früher die Postillione mit dem Posthorn von der Kutsche bliesen, kommt seit 1924 als Dreiklanghorn auf den Bergstraßen zur Warnung vor unübersichtlichen Stellen zum Einsatz. Das Klangmotiv aus den Tönen Cis, E und A stammt aus dem Andante der Ouvertüre zu Rossinis Oper Wilhelm Tell.

Von Heidemarie Pütz, gms, 15.2.2006